Detlef Ziep,
wenn man sich Dein Designschaffen an-
schaut, ist ab Ende der achtziger
Jahre eine deutliche
Veränderung
Deiner Gestaltungsthemen zu erkennen,
weg vom funktionell bestimmten
Industriedesign hin
zur freien Skulptur und Objektkunst. Wie
ist es dazu
gekommen?
Nach dem Studium des Industriedesigns habe ich Licht-
systeme für öffentliche Gebäude gestaltet, das grafische
Erscheinungsbild von
Bürogebäuden oder die Innenaus-
stattungen von Geschäften oder Restaurants
entworfen.
Vieles davon in einem freiberuflichen Designteam, das
sich
später aufgelöst hat.
Somit bestand die Chance und Notwendigkeit die eige-
nen Möglichkeiten und Wünsche zu überdenken. Am
Ende dieses Prozesses stand
dann der Entschluss,
mich auf neues, unbekanntes Territorium zu begeben
und mich zukünftig nur noch mit Gestaltungsaufgaben
zu beschäftigen,
die nicht überwiegend von funktionellen
Kriterien bestimmt werden.
Die Einrichtung eines eigenen Ateliers mit angeschlos-
sener
Holzwerkstatt bildete
die Grundlage, um Neues
schaffen zu können. Ich begann mich mit der Kunst-am-
Bau-
Problematik auseinander zusetzen, mit Projekten,
die durch ihren Raumbezug
noch gewisse funktionelle
Bindungen besitzen, aber bei der Wahl von Thema,
Form
und Material ein großes Maß an gestalterischer Freiheit
erlauben.
In der Folgezeit sind für den öffentlichen Raum mehrere
plastische Arbeiten aus Holz, Stahl und Farbe entstanden -
beispielsweise
ein Wandrelief im Eingangsbereich eines
Hörsaalgebäudes,
ein Wand-Boden-Objekt im Foyer
eines Ministeriums, eine Klangskulptur für
einen Kinder-
spielplatz.
Mit Hilfe der Erfahrungen, die ich im Laufe der Zeit
und
bei den unterschiedlichsten Projekten sammeln konnte, habe ich mich
dann auf ein „klassisches“ Gebiet der
Kunst gewagt, an die Gestaltung
freier Skulpturen und
Objekte -
eine Arbeit, die mich bis heute immer von
Neuem fasziniert und noch
lange beschäftigen wird.
Eine Deiner Ausstellungen trägt den Titel „Begleiter“.
Was begleitet Dich bei Deiner Arbeit, woher nimmst
Du die
Motive und Ideen für Deine Hüter, Schutzgeister
oder Meeresboten?
Da ist einmal der geographische Aspekt: die Stadt, die
mich umgibt, eine Landschaft, von der ich mich angezo-
gen fühle und zu
der ich meist immer wieder zurückkehre.
Ein wichtiger Ort ist Berlin, wo ich das Jahr über lebe
und
arbeite, vormals in der hektischen Mitte der Stadt, heute
mehr an
ihrem Rand, nicht weit entfernt von
Feldern, Wiesen und Wald. Hier finde
ich die nötige
Ruhe, um
die Ideen für meine Figuren und Objekte wachsen
zu lassen und genügend Raum für ihre Realisierung. Ab
und zu verlasse
ich die Stadt und
ziehe hinaus.
Mal in die endlose Weite des Meeres. Nach Norden, an
die Ostsee, auf den Darß. Eine sanfthüglige Landschaft
zwischen Meer
und Bodden, mit einer Steilküste, wildem
Sandstrand und vom Sturm gebeugten
Windflüchtern.
Hier finde ich einen Teil meines Gestaltungsmaterials:
Angelandetes Treibholz von Schiffen
auf See, von Wasser, Wind und Sonne gebleichtes Bruchholz aus
dem Darß-
wald oder die unterschiedlichsten Geröllsteine, Basalt,
Porphyr, Gneis, Sand- und Feuerstein von der gegenüber-
liegenden Küste
Schwedens.
Mal hoch hinaus, ins Gebirge. Nach Süden, nach Grau-
bünden,
ins Oberengadin und Bergell. Eine Landschaft
mit steilen Bergen, tiefen
Tälern und silbern glänzenden
Seen. Mich faszinieren die Berge mit ihren
unterschied-
lichen Gestalten. Die majestätischen Eisriesen der Ber-
ninagruppe
mit hohen, schneebedeckten Gipfeln und
gewaltigen Gletschern, die wild
gezackten Felstürme der Albignakette, die berühmte Granitkathedrale von
Sciora,
Cengalo und Badile oberhalb
des Bondascatales. Und
das Wasser: Die glitzernden Spiegel der Oberenga-
diner
Seenplatte,
die klaren Augen der Gipfelseen, das
aus der Höhe kommende, mal ruhig
fließende, mal wild
herabstürzende Bergwasser.
Und die Bauwerke, deren
historische Formen noch heute das Gesicht dieser
Land-
schaft prägen. Eine schlichte Architektur, die vom bäuer-
lichen Hintergrund
der Talschaft erzählt, gebaut aus
Materialien der unmittelbaren Umgebung,
den Bergen.
Oder die Wege. Die seit der Römerzeit bestehenden
klassischen
Alpenübergänge mit ihren aus Fels ge-
schrotetenoder gepflasterten Säumerstrassen
oder
die
Bergwege
mit ihren mannshohen Figuren aus Stein, den Steinmännern,
die den Wanderer bei hohem Schnee
oder schlechter Sicht vor dem Verirren
bewahren.
Alles zusammen bildet ein unerschöpfliches Reservoir
an Gestaltungsideen für meine Arbeit. Zugleich enthält
es eine Fülle
von Fundorten für mein anderes Gestal-
tungsmaterial, die Steine: Steine
der unterschiedlichsten
Art, Steine in den mannigfaltigsten Formen, Steine
in den
vielfältigsten Farben.
Im Flussbett der Orlegna im Fornotal finde ich vom Wasser
glatt geschliffene Steinkugeln aus weißgrauem Bergeller
Granit, am Fuß der Gletscher im Bondascatal graugrün
und silber
glänzende Platten und Quader aus Quarzit, in
den Geröllfeldern unterhalb
des Piz Julier Bruchstücke
von grün gefärbten Julier Granit.
Bei Deinen Skulpturen und Objekten, die in letzter
Zeit entstandenen sind, fällt ein gemeinsames Merkmal besonders auf:
Die Kombination von „künstlich“ entworfenen und handwerklich hergestellten
Formen mit freien, natur belassenen Fundstücken, beispielsweise ein
aus Massivholz gefertigter Skulpturenkörper mit einem Kopf aus Treibholz
oder Naturstein. Ist dieses Merkmal ein Zufallsprodukt oder das beabsichtigte
Ergebnis einer Gestaltungshaltung?
Einen Teil der Antwort habe ich schon gegeben: Die Aus-
kunft
darüber, welches Material ich bei meiner Gestaltung
bevorzuge, wo ich
es finde und ab welchem Zeitpunkt ich
es bei meinen Arbeiten eingesetzt
habe. War am Anfang
der Zufall, das spontane Finden von Hölzern und Steinen
der Ideengeber, so entwickelte sich daraus im Verlauf
der Zeit eine bewusste
Vorstellung von zukünftigen Ge-
staltungsprojekten und ein zielgerichtetes
Suchen nach
Fundstücken aus Holz und Stein.
Der nächste Schritt war die künstlerische Umsetzung
eines Denksystems, dem das Gesetz von der Einheit der
Gegensätze innewohnt.
Scheinbar Gegensätzliches kann
dabei nebeneinander bestehen.
Für meine Arbeit bedeutete das, zukünftige Skulpturen
und Objekte bewusst unter Einbeziehung komplementärer
Gegensatzpaare
bei Materialien, Formen, Oberflächen und
Ausdruck zu gestalten. Die folgenden
Beispiele sind eine
Auswahl der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten
dieser
Methode.
Der Einsatz des Warm-Kalt-Kontrastes beim
Verwenden mehrer Materialien: Eine Wärme ausstrahlenden Holz-
skulptur
wird mit kalt glänzenden Edelstahlstäben kom-
biniert.
Das Wirken des Hell-Dunkel-Kontrastes bei
der Farb-
gestaltung einer Stabfigur: Ein dunkel, graugrün gebeiz-
ter Figurenkörper
wird von schmalen, intensiv leuchten-
den Farbstreifen durchzogen.
Das Erzeugen eines Glatt-Rau-Gegensatzes durch
die
Herstellung von unterschiedlichen Oberflächen innerhalb
einer Holzstele:
Eine raue, stark strukturierte Vorderfront
wird mit glatten, geschliffenen
Rück- und Seitenflächen
komplementiert.
Das Offenlegen verborgener Seiten einer Skulptur durch
die Anwendung des Gegensatzpaares Innen-Aussen:
Ein, durch seine äußere Form und Oberfläche, friedfertig
wirkendes Objekt
offenbart bei näherem Hinsehen seine
innere Seite, die im Friedfertigen
auch das Bedrohliche
erkennen lässt.
Ein Anliegen meiner Arbeit ist es, Dinge in der Natur
sichtbar zu machen, die für uns gewöhnlich unsichtbar bleiben, weil wir
sie nicht beachten.
Um das Besondere eines Steins, der unbeachtet am Meeresufer
oder in der Rinne eines Gebirgsflusses liegt, herauszuarbeiten, muss
ich ihn als erstes aus der Menge der anderen Steine, die ihn umgeben,
isolieren.
Wenn er anschließend abseits der anderen Strandsteine
liegt, bleibt er immer noch nur ein Stein unter Steinen, an dem man beim
Spaziergehen achtlos vorüber geht. Es muss weiteres geschehen, damit
das Einmalige seiner Gestalt beachtet wird, das man zu ihm hinblickt,
aufblickt, hoch blickt.
Er muss aus seiner gewohnten Umgebung herausge-
löst und
an einen anderen Ort gebracht werden. In einen
anderen Raum, in einen
Wohnraum, einen Garten, auf
eine Terrasse, in eine Galerie. Hier wird
er dann auf Au-
genhöhe, auf einen Ausstellungssockel gehoben
und
kann,
in eine eigenständige Plastik oder in den Kopf
einer Skulptur verwandelt,
so die nötige Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen und ihn
auf
fordern: Bleib stehen, sieh hin, schau mich an und bemerke, wie schön,
wie interessant, wie einmalig ich bin.
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